Von Erderwärmung bis Klimakrise: Sprachliche Herausforderungen der Problembestimmung

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Dieser Artikel beschäftigt sich mit sprachlichen Herausforderungen der begrifflichen Problembestimmung des Klimawandels anhand der beiden Begriffspaare globale Erderwärmung-Klimawandel und Klimawandel-Klimakrise.

Begriffliche Problembestimmung und problematische Begriffsbestimmung

Der Umgang mit den Veränderungen des Klimas stellt die Gesellschaft neben allen anderen auch vor die sprachliche Herausforderung einer begrifflichen Problembeschreibung. Im deutschsprachigen Raum konkurrieren mindestens drei Begriffe miteinander (siehe Wortverlaufskurve): Während von der globalen „Erderwärmung“ bereits in den 1990er Jahren gesprochen wird, lässt sich anhand des DWDS-Zeitungskorpus zeigen, dass die Rede vom „Klimawandel“ in den frühen 2000er Jahren immer häufiger wird und spätestens seit 2015 rasant zunimmt. Ebenfalls ab dem Jahr 2015 finden sich Belege dafür, dass Zeitungen auch den Begriff „Klimakrise“ zur Problembeschreibung verwenden, seit 2019 erstmals häufiger als „Erderwärmung“.[1]

Wortverlaufskurve

Vor diesem Hintergrund lässt sich fragen, welche Rolle die Sprache in der Klimadebatte hat und ob es einen Unterschied macht, das Phänomen als Klimawandel, Klimakrise oder globale Erderwärmung zu beschreiben. Ein sich wandelnder Sprachgebrauch ist nichts Ungewöhnliches. Dass verschiedene Interessensgruppen jeweils normativ eingreifen, lässt sich als Anzeichen dafür erachten, dass der begrifflichen Bestimmung eine hohe Relevanz zugeschrieben wird, da es „nicht nur um Sprache, sondern auch um die Wirklichkeit [geht], die mit ihr erfasst werden soll“:[2] So rät beispielsweise der Meinungsforscher und Politikberater Frank Luntz schon 2002 beim US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf George W. Bush dazu, den Begriff „climate change“ statt „global warming“ zu benutzen und die Fridays for Future-Bewegung (kurz: FFF) bestärkt und bekräftigt hingegen spätestens seit 2022 den Begriff „Klimakrise“ anstelle von „Klimawandel“ zu verwenden.

Wenn die Unterscheidung aus verschiedenen Perspektiven als wichtig erachtet wird, lässt sich fragen, auf welcher Ebene die sprachlichen Anpassungen Auswirkungen haben: Geht es um eine präzisere bzw. angemessenere Beschreibung des Phänomens in einer erkenntnistheoretischen Hinsicht? Oder geschieht die sprachliche Anpassung eher mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung und damit auch um den gesellschaftlichen und individuellen Umgang mit dem Phänomen?

Klimawandel und Klimakrise

Schon 2019 hat die britische Zeitung „The Guardian“ die redaktionellen Sprachregeln geändert und empfiehlt den Begriff „climate crisis“ in journalistischen Texten[3], inspiriert von der Klimaaktivistin Greta Thunberg und der FFF-Bewegung, um die gegenwärtige Entwicklung „akkurater“[4] darzustellen.

Als die damals 15-jährige Greta Thunberg im August 2018 beschloss, die Schulpflicht für drei Wochen auszusetzen hat sich die Idee für das Klima zu streiken in der ganzen Welt verbreitet. 2019 organisierte u. a. die Studentin Luisa Neubauer in verschiedenen deutschen Städten die ersten deutschen Schulstreiks.[5] Mehr als 300.000 Schüler*innen aus mehr als 230 Städten nahmen nach Angaben der Organisator*innen am ersten „Global Climate Strike for Future“ teil, der von FFF am 15. März 2019 einberufen wurde.[6] Das Engagement junger Menschen für das Klima wuchs rasant an. Die Klimaproteste weiteten sich stetig aus, gefolgt von einer der größten Demonstrationen der Bewegung in Deutschland am 20. September 2019. Rund 1,4 Millionen Menschen an 575 Orten in Deutschland folgten nach Angaben der Veranstalter*innen dem Aufruf zu Demonstrationen.[7] Die multimodale Kommunikation der umweltpolitischen Missstände und Forderungen weitet sich dabei vom analogen auch in den digitalen Diskursraum aus. Dabei ist Thunberg ein Vorbild für die weltweiten Streiks. Um ihre Ziele zu erreichen, reiste sie in viele Länder, wird von der internationalen Politik gehört und sprach persönlich mit dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Papst und verschiedenen UN-Politiker*innen und nahm am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Ihr Motto lautet: „Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?“[8]

Denn fest steht, dass im Jahr 2021 Europa den wärmsten Sommer seit den Wetteraufzeichnungen 1979 erlebte.[9] In den vergangenen Jahren wurde das durch Überschwemmungen, Stürme, Hitzewelle, und Dürren immer deutlicher und auch das Abschmelzen der Polkappen und vieler Gletscher sowie der Anstieg des Meeresspiegels[10] haben bereits Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft – im sogenannten globalen Norden wie Süden. Aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, Wassermangel, Krankheiten und Landflucht tragen die ärmsten Entwicklungsländer die Hauptlast des Klimawandels, was verdeutlicht, dass die Zusammenhänge von Verursachung und Auswirkung räumlich und zeitlich verschwimmen.[11] Je nach Modellrechnung befindet sich die Weltbevölkerung auf einem Emissionspfad, der die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um mehrere Grade Celsius ansteigen lassen könnte, wenn nicht gezielt reagiert wird. Dann ist ein sogenannter Kipppunkt erreicht, an dem es zu irreversiblen Schäden kommt und der stabile Klimazustand bald abrupt endet.[12]

Die FFF-Bewegung möchte deshalb u. a. das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 erfüllen, die Erderwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen. Viele Wissenschaftler*innen zweifeln daran, dass das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen ist[13],da hierzu umgehend Maßnahmen in Form von massiven Emissionsminderungen ergriffen oder Wege entwickelt werden, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu extrahieren. Deswegen fordern die FFF unmittelbar vor der Aufnahme der Koalitionsgespräche zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP im Oktober 2021 die Verabschiedung eines 1,5 Grad konformen CO₂-Budgets (Erdgasausstieg bis 2035, Kohleausstieg bis 2030, versiebenfacht schnellerer Ausbau erneuerbarer Energien, grundsätzliche und gerechte Mobilitätswende, 14 Milliarden Euro pro Jahr für internationale Klimafinanzierung).[14] Kritiker*innen äußern ihre Bedenken hinsichtlich möglicher Einschränkungen für die „Energiewirtschaft, Industrie, Gebäudesektor und Landwirtschaft“[15] sowie für Bürger*innen. Dieser Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischen Aspekten erfordert eine bewusste Auseinandersetzung und gezielte Handlungsansätze zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

Umso wichtiger ist hier die präzise Sprache zur Benennung des Phänomens. Der Umweltwissenschaftler Nils Meyer-Ohlendorf betont, dass der Begriff „Klimawandel“ die anthropogene Implikation nicht berücksichtigt, sondern ein Narrativ eines natürlichen Prozesses unterstütze. Meyer-Ohlendorf schlägt deshalb den Begriff „Klimakrise“[16] vor. Auch die britische Zeitung „The Guardian“ teilt wie erwähnt diese Ansicht und benutzen ab 2019 den Begriff „climate crisis“, statt „climate change“ - mit der Begründung, dass Klimawandel zu „passiv und sanft“[17] klinge.

Globale Erderwärmung und Klimawandel

Wie erwähnt, lassen sich Maßnahmen einer normativen Sprachanpassung hinsichtlich der Bezugnahme auf die Erwärmung der Atmosphäre bereits im US-Präsidentschaftswahlkampf 2002 ausmachen. Dabei ist die Beziehung der Begriffe „global warming“ und „climate change“ zentral: Der Journalist Oliver Burkeman konstatiert, der frühere Präsident George W. Bush habe in seinen Reden vor dem Jahr 2002 den Begriff „global warming“ noch häufig verwendet, ab 2002 aber kaum noch, was Burkeman auf die politische Beratung des Meinungsforschers Luntz zurückführt.[18]

Luntz ist auf den Einfluss sprachlicher Mittel bei der öffentlichen Meinungsbildung spezialisiert. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen sowie deren positive oder negative emotionale Reaktionen auf vermittelte Inhalte seien Luntz zufolge stark von sprachlichen Entscheidungen abhängig. So hält Luntz in seinem 2007 erschienenen Buch fest, dass die wirksamste politische Rhetorik durch Wiederholung, Konsistenz, einfache, klare Sprache, einprägsame Phrasen und kurze Sätze gekennzeichnet ist.[19] Nach Ansicht von Luntz kann ein einziges Wort ein Thema einrahmen (Frame-Semantik) und bei den Wähler*innen positive oder negative Assoziation im Kopf erwecken. Deswegen ist es nach Luntz weniger wichtig, ob eine Aussage zutrifft oder nicht, sondern dass die diese vermittelnde Geschichte emotional überzeugt:

„A compelling story, even if factually inaccurate, can be more emotionally compelling than a dry recitation of the truth“.[20]

Luntz zufolge hänge die Meinung der Menschen zur Klimapolitik u. a. davon ab, ob sie glauben, dass Einigkeit unter den Expert*innen über die vom Menschen verursachte globale Erwärmung herrscht oder nicht.[21]

In einem Memo an Präsident George W. Bush aus dem Jahr 2002 mit dem Titel „The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America“ rät Luntz entsprechend dazu, die wissenschaftliche Einigkeit über die globale Erwärmung in Zweifel zu ziehen, da ansonsten die Debatte über die globale Erwärmung für die republikanische Partei verloren sei und damit eine Wahlniederlage bevorstünde: „Voters believe that there is no consensus about global warming within the scientific community. Should the public come to believe that the scientific issues are settled, their views about global warming will change accordingly. […] The scientific debate is closing [against us] but not yet closed. There is still a window of opportunity to challenge the science”.[22]

Luntz betont, dass man auf die vermeintliche Unsicherheit in der Klimaforschung bzw. in der Wissenschaft im Kontext der globalen Erwärmung hinweisen solle – ungeachtet des Umstandes, dass ein Konsens zwar ein politisches, nicht aber ein wissenschaftliches Kriterium ist – um damit den Eindruck zu erwecken, dass innerhalb der wissenschaftlichen Debatte Uneinigkeit über den Ursprung der Erderwärmung herrsche: „Continue to make the lack of scientific certainty a primary issue in the debate”[23] oder: „The most important principle is your commitment to sound science“.[24]

Diese Strategie stützt er durch seine sprachliche Empfehlung, den Begriff „climate change“ anstelle von „global warming“ zu verwenden: „global warming“ impliziere die Notwendigkeit schnellen Handelns, wohingegen „climate change“ eher eine überschaubarere und weniger emotionale Herausforderung bedeute: [25]

Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass Luntz 2019 öffentlich bedauerte, die Bush-Regierung in dieser Hinsicht beraten zu haben. Verteidigte er seine Haltung 2006 noch mit dem Verweis auf die uneindeutige wissenschaftliche Sachlage,[26] distanzierte er sich 2019 von der von ihm zuvor vertretenen Position, räumte ein Fehler gemacht zu haben. Luntz wies jede Verantwortung für die Handlungen der Bush-Regierung zurück [27] und bot an, sich an einer parteiübergreifenden Lösung zu beteiligen.[28]

Macht es einen Unterschied, ob wir andere Begriffe benutzen?

Am Beispiel des US-Wahlkampfes zeigt sich, dass die begriffliche Problembestimmung ein umkämpftes Feld ist und normative Eingriffe auf den Sprachgebrauch von verschiedenen Seiten vorgenommen werden, also grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass die begriffliche Bezeichnung des Phänomens für die Wahrnehmung und mögliche Handlungsanweisungen eine entscheidende Rolle spielt. Aus einer sprachphilosophischen Perspektive lässt sich dieser Gedanke mit der Unterscheidung zwischen rohen und institutionellen Tatsachen im Sinne Searles[29] besser durchdringen: Während sich die klimatischen Veränderungen rein sachbezogen als rohe Tatsache verstehen lassen, wird die soziale Wirklichkeit und damit die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens sprachliche im Sinne von institutionellen Tatsachen geprägt.

Klimawandel, Klimakrise oder globale Erwärmung: Es gibt viele Worte für die begriffliche Problembeschreibung im öffentlichen Diskurs. Die Forschung hierzu wird hauptsächlich in den Sprachwissenschaft und den kognitiven Wissenschaften der Psychologie durchgeführt, dabei ist die genaue Beziehung zwischen Sprache und Bewusstsein ziemlich komplex und schwer auszumachen. Dennoch steht für die Sprachwissenschaftler*innen Warnke und Kämper fest, dass Sprache auf die soziale Wirklichkeit[30] Einfluss nimmt und somit institutionelle bzw. soziale Tatsachen schafft. Insbesondere in Pressetexten wird diese Beziehung immer wieder selbst reflektiert: „Das Sein bestimmt das Klimabewusstsein“[31], titelt so etwa die TAZ und die britischen Zeitungen The Guradian und The Observer sprechen wie bereits erwähnt Empfehlungen für die Begriffwahl ihrer Mitarbeiter*innen aus.[32] Der Journalist Dan Zak bringt die Überlegung auf den Punkt, wenn er 2019 in der Washington Post festhält:

„The climate problem is not just scientific. It’s linguistic. If we can agree how to talk and write about an issue that affects us all, maybe we can understand and fix it together".[33]

Erst eine angemessene Benennung des Phänomens, so der Gedanke, fördere das Verständnis und führe somit dazu Handlungsmaßnahmen zu ergreifen. Eine präzise Sprache kann im Kontext des sich verändernden Klimas also entscheidend sein, um konkrete Handlungen zu bewirken.

Abschließend sollen die Überlegungen noch einmal zusammengetragen werden, um die komplexen Zusammenhänge der einzelnen Begriffe zu verdeutlichen.

Klimawandel

Gemäß DWDS-Zeitungskorpus ist „Klimawandel“, wie die obige Statistik zeigt, der im öffentlichen Diskurs etablierteste Begriff. Aufgrund der fehlenden Bedrohungssemantik wird „Klimawandel“ häufig als sachlich und nicht politisch motiviert erachtet.[34] Wie gezeigt wurde, ist gerade die vermeintliche Sachlichkeit des Begriffs zumindest im US-amerikanischen Diskurs politisch motiviert gewesen, mit dem Ziel, die Veränderungen des Klimas als etwas anzusehen, das sich schon seit Jahrhunderten vollzieht. Also den Wechsel von Wärme- und Kälteperioden als Teil des natürlichen Laufs der Umweltgeschichte,[35] weshalb man sich darum nicht kümmern müsse. Auch wenn das Klima einem Wandel unterliegt, lässt der Begriff die tiefgreifenden und negativen Auswirkungen, die dieser Prozess auf unsere Umwelt und Gesellschaft hat, zugunsten einer vermeintlichen Neutralität außen vor: Der Mensch wird nicht als aktive Ursache einbezogen. Denn „sich wandeln“ hat eine reflexive Struktur: „man wandelt sich“, nicht „man wird gewandelt“. Hier findet eine begriffliche Rahmung[36] für einen natürlich verlaufenden Klimawandel statt, der nicht menschengemacht ist, denn suggeriert wird, dass der Wandel unabhängig von äußeren Einflüssen einer eigenen Dynamik folgt.

Klimakrise

Der Duden definiert „Krise“ als eine schwierige Lage oder Zeit definiert, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt.[37] Dabei werden Krisen laut Wörterbuch zur Politik wiederum als Durchgangsstadien definiert, die eher kurz andauern, was man beim Klima als langfristiges Phänomen nicht behaupten kann.[38] Klimakrise“ ist jedoch ein Begriff, der auf die Dringlichkeit der Situation angesichts der menschengemachten, globalen Erwärmung aufmerksam macht.[39] Klimakrise als Problembeschreibung soll damit anstelle des Begriffs „Klimawandel“ zu einem frühzeitigen Handeln führen, und das Phänomen nicht als harmlos klingend beschreiben. Bedenkt man jedoch, dass wir wohlmöglich in einer „Krisengesellschaft“[40] leben, wird vielleicht auch diese Dringlichkeit als weniger dringend empfunden, wenn die Klimakrise, wie die Augsburger Allgemeine titelte, „nur noch [als] eine Krise unter vielen“[41] wahrgenommen wird. Eine mögliche Eskalation der Dringlichkeit bietet hingegen der Begriff der „Klimakatastrophe“ an. Hier bedeutet Katastrophe in etwa „Zusammenbruch“[42] und meint damit auch die Entwicklung eines dauerhaft negativen Verlaufs.[43]Mit dem Begriff der „Katastrophe“ sind entsprechend hohe sachliche, natürliche und humane Verluste verbunden.[44]

Globale Erderwärmung

Die globale Erwärmung oder Erderwärmung meint den messbaren Anstieg der „Erdoberfläche im weltweiten Durchschnitt“.[45] Viele Wissenschaftler*innen sind sich einig[46], dass die Hauptursache der globalen Erderwärmung der Anstieg der Treibhausgase ist, insbesondere des vom Menschen verursachten Kohlendioxidausstoßes. Forscher*innen der University of Massachusetts haben die durchschnittliche globale Jahrestemperatur der letzten 1000 Jahre untersucht.[47] Bereits im Jahr 1998 entdeckten sie, dass es über mehrere Jahrhunderte hinweg nur geringe Schwankungen gab, bis es im 20. Jahrhundert zu einem plötzlichen starken Anstieg kam.[48] Studien von 2013 zeigen ähnliche Funde:[49] Die Erde erwärmt sich schneller denn je, und das letzte Jahrhundert habe sich schneller erwärmt als je zuvor seit der letzten Eiszeit.[50] Dies sind Indizien dafür, dass es sich eben nicht um den natürlichen Verlauf von Kälte- und Hitzeperioden handelt. Der Begriff der „Erderwärmung“ ist von den drei hier diskutierten Begriffen vermutlich der, der am stärksten auf die rohe, ökologische Tatsache der klimatischen Veränderung verweist, damit aber die vielschichtigen soziokulturellen, gesellschaftspolitischen, ökonomischen Dimensionen des Problemkomplexes vernachlässigt – selbst wenn die Ursachen der Erwärmung maßgeblich menschlichen Handlungszusammenhängen zugeschrieben werden. Doch zumindest die Debatte um die englische Entsprechung „global Warming“ zeigt, dass auch die Verwendung dieses Begriffs als nicht ohne Auswirkungen auf die soziale Wirklichkeit und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen wahrgenommen wird.

Fazit

Die unterschiedlichen begrifflichen Problembeschreibungen unterliegen weder rein subjektiven Vorlieben, noch lassen sie sich mit Verweis auf den üblichen Sprachwandel restlos erklären. Das Ringen um die Begriffe lässt sich auch um ein Ringen um die Kontrolle der rohen Tatsachen und der Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit verstehen. Denn Searle folgend, macht uns eine rohe Tatsache nicht verantwortlich bzw. verpflichtet uns zu nichts, aber als institutionelle Tatsache verleiht sie uns Rechte und Pflichten und eine Art Betroffenheit, die uns zum Handeln zwingt.[51] Dies trifft auch bei Klimawandel, Klimakrise oder globale Erderwärmung zu, bei denen der politische und gesellschaftliche Diskurs um die richtige Bezeichnung Auswirkungen auf unsere Realität haben.

Belege

  1. Vgl. [Lemma] Wortverlaufskurve für Erderwärmung · Klimawandel · Klimakrise. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Online, zuletzt abgerufen am 04.03.2023.
  2. Roth, Kersten Sven (2021): Klimawandel, -krise oder -katastrophe? Wie wir richtig übers Klima sprechen. In: MDR-Online. Online, zuletzt abgerufen am 24.01.2024.
  3. Vgl. Carrington, Damian (17.05.2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  4. The Guardian (30.04.2021): Guardian and Observer style guide. Online, zuletzt abgerufen am 27.02.2023.
  5. Vgl. Sontheimer, Leonie (2019): Fridays for Future: Die Strategin. In: Die Zeit. Online, zuletzt abgerufen am 09.06.2022.
  6. Vgl. Staude, Jörg (2019): 300.000 bei „Fridays for Future“ in Deutschland. In: Klimareporter. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  7. Vgl. Wüstenberg, Daniel (20.09.2019): Greta begeistert: „Unglaublich, ein historischer Tag“ – aktuell Straßenblockaden in mehreren Städten. In: STERN.de. Online, zuletzt abgerufen am 08.07.2022.
  8. Carrington, Damian (04.12.2018): 'Our leaders are like children,' school strike founder tells climate summit. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  9. Vgl. Copernicus Climate Change Service (2021): European State of the Climate 2021. In: climate.copernicus.eu. Online, zuletzt abgerufen am 07.06.2022.
  10. Vgl. Bundesregierung (2019): Welche Auswirkungen hat der Klimawandel. Online, zuletzt abgerufen am 24.09.2022.
  11. Vgl. Wallacher, Johannes (2009): Klimaschutz nicht auf Kosten der Ärmsten. In: Deutschlandfunkkultur. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  12. Vgl. Reske, Vanessa; Puttfarcken, Lena (30.09.2021): Vier tickende Zeitbomben, die unser Klima radikal verändern würden. In: Quarks. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  13. Vgl. Ehring, Georg (2022): Klimawandel - Das 1,5-Grad-Ziel könnte schon bis 2026 überschritten werden. In: Deutschlandfunk.de. Online, zuletzt abgerufen am 09.06.2022.
  14. Vgl. Andreoli, Josephine (20.10.2021): Sechs Forderungen an die nächste Regierung: Fridays for Future setzen Politiker unter Druck. In: watson. Online, zuletzt abgerufen am 09.06.2022.
  15. Sommer, Moritz; Rucht, Dieter; Haunss, Sebastian; Zajak, Sabrina (2019): Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland. In: ipb working papers Online, zuletzt abgerufen am 07.09.2022.
  16. Framing-Check: "Klimawandel". Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen. Online, zuletzt abgerufen am 05.08.2022.
  17. Carrington, Damian (17.05.2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  18. Vgl. Burkeman, Oliver (04.03.2003): Memo exposes Bush's new green strategy. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 9. Juni 2022.
  19. Luntz, Frank (2007): Words that work: It’s not what you say, it’s what people hear. New York: Hyperion, S. 16.
  20. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.132.
  21. Vgl. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.132.
  22. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.137-138.
  23. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S. 137.
  24. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.138.
  25. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.142.
  26. Vgl. Yoder, Kate (26.07.2019): Frank Luntz, the GOP’s message master, calls for climate action. In: Grist. Online, zuletzt abgerufen am 08.08.2022.
  27. Hayward, Freddie (01.06.2022): Why Frank Luntz regrets being a populist. In: New Statesman. Online, zuletzt abgerufen am 05.08.2022.
  28. Vgl. Yoder, Kate (26.07.2019): Frank Luntz, the GOP’s message master, calls for climate action. In: Grist. Online, zuletzt abgerufen am 08.08.2022.
  29. Vgl. Searle, John R. (1999): Mind, language, and society. Philosophy in the real world. New York: Basic Books.
  30. Vgl. Smiljanic, Mirko (2019): Linguistik und Gender-Debatte - Kann Sprache Wirklichkeit schaffen?. Online, zuletzt abgerufen am 07.08.2022.
  31. Schöneberg, Kai (07.09.2020): Neue Empfehlungen für die taz: Besser übers Klima schreiben. In: taz.de. Online, zuletzt abgerufen am 26.08.2022.
  32. Vgl. Carrington, Damian (17.05.2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  33. Vgl. Zak, Dan (27.08.2019): How should we talk about what’s happening to our planet?. Online, zuletzt abgerufen am 12.08.2022.
  34. Vgl. Plöger, Sven (27.06.2020): Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe: Welcher Begriff passt am besten?. Online, zuletzt abgerufen am 25.02.2022.
  35. Vgl. Böhnert, Martin; Reszke, Paul (2022): Which Facts to Trust in the Debate on Climate Change? – On Knowledge and Plausibility in Times of Crisis. In: Hohaus, Pascal (Hrsg.): Science Communication in Times of Crises, Amsterdam: John Benjamins, S. 15-40, hier S. 33-35.
  36. Vgl. Wehling, Elisabeth (2017): Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 28.
  37. Vgl. Scholze-Stubenrecht, Werner; Pescheck, Ilka; Hoberg, Rudolf; Hoberg, Ursula; Folz, Jürgen: [Lemma] Krise. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Berlin: Dudenverlag (2015), S. 1070.
  38. Vgl. Wörterbuch zur Politik, Stuttgart: Alfred Kröner (2010), S. 443f.
  39. Vgl. Framing-Check: "Klimawandel". Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen. Online, zuletzt abgerufen am 05.08.2022.
  40. Frandsen, Finn; Johansen, Winni (2017): Organizational Crisis Communication: A Multivocal Approach. London: Sage, S. 17.
  41. Schierack, Sarah (25.03.2022): Nur noch eine Krise unter vielen? Wir müssen wieder über das Klima reden. In: Augsburger Allgemeine. Online, zuletzt abgerufen am 25.02.2023.
  42. Scholze-Stubenrecht, Werner: [Lemma] Zusammenbruch. Duden. Die deutsche Rechtschreibung: auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln, Bd. 24., völlig neu bearbeit. und erweit. Aufl., Mannheim: Dudenverlag (2006), S. 658.
  43. Vgl. Scholze-Stubenrecht, Werner; Pescheck, Ilka; Hoberg, Rudolf; Hoberg, Ursula; Folz, Jürgen: [Lemma] Katastrophe. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Berlin: Dudenverlag (2015), S. 982.
  44. Vgl. Günther, Florian C. (2022): Klimaethik - Klimapolitik - Klimasoziologie. Zur Theorie der sozialen Klimakatastrophe. Darmstadt: WBG.
  45. Latif, Mojib (2012): Globale Erwärmung. Stuttgart: UTB GmbH; Ulmer, S. 7.
  46. Vgl. Cook, John; Nuccitelli, Dana; Green, Sarah A.; Richardson, Mark; Winkler, Bärbel; Painting, Rob et al. (2013): Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature.. In: Environ. Res. Lett. 8(2).
  47. Vgl. Kondratenko, Tatiana (2021): Faktencheck: Ist die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess?. In: Deutsche Welle Online, zuletzt abgerufen am 04.10.2022.
  48. Vgl. Mann, Michael E.; Bradley, Raymond S.; Hughes, Malcolm K. (1999): Northern hemisphere temperatures during the past millennium: Inferences, uncertainties, and limitations. In: Geophysical Research Letters 26(6), S. 759–762, hier. S. 759.
  49. Vgl. Marcott, Shaun A.; Shakun, Jeremy D.; Clark, Peter U.; Mix, Alan C. (2013): A reconstruction of regional and global temperature for the past 11,300 years. In: Science (New York, N.Y.) 339(6124), S. 1198–1201, hier S. 1198.
  50. Vgl. Kondratenko, Tatiana (2021): Faktencheck: Ist die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess?. In: Deutsche Welle Online, zuletzt abgerufen am 04.10.2022.
  51. Vgl. Searle, John R. (1999): Mind, language, and society. Philosophy in the real world.. New York, NY: Basic Books (MasterMinds series), S. 131.



Autor*innen

Erstfassung: Serhat Dal am 13.03.2023. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Dal, Serhat (2023): Von Erderwärmung bis Klimakrise: Sprachliche Herausforderungen der Problembestimmung. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Von Erderwärmung bis Klimakrise: Sprachliche Herausforderungen der Problembestimmung, zuletzt abgerufen am 27.04.2024.