Intersektionalität im Ökofeminismus

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Intersektionalität beschreibt Formen von Diskriminierung, die sich durch das Überschneiden verschiedener Merkmale ergeben.

Intersektionalität im Ökofeminismus beschäftigt sich mit der Überschneidung von Diskriminierungsformen auf Basis von Machtverhältnissen, welche Individuen in Anbetracht der Klimakrise bereits erfahren und erfahren werden. Dabei lassen sich Unterschiede in der Betroffenheit feststellen, die je nach Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Herkunft oder Hautfarbe spezifische Ausprägungen haben.

In diesem Artikel werden die beiden Begriffe Intersektionalität und Ökofeminismus definiert sowie die Notwenigkeit einer feministischen Perspektive auf die Klimakriese anhand von Statistiken erläutert. Um die eurozentrische Perspektive im Ökofeminismus zu hinterfragen, wird des Weiteren auf den afrozentrischen Ökowomanismus eingegangen.

Einführung in die Begriffe Ökofeminismus und Essentialismus

Ökofeminismus entstand Mitte der 1970er Jahre. Angesichts der Zunahme von Umweltkatastrophen wurde in ökofeministischen Theorien die Frage nach der Verbindung zwischen der Dominanz und Ausbeutung von Natur sowie der Dominanz und Ausbeutung von Frauen adressiert. Der Ökofeminismus ist somit eine Strömung innerhalb der Umweltphilosophie, die feministische Perspektiven zur Analyse von Machtverhältnissen und zur Lösung umweltbezogener Problematiken für unerlässlich hält. Je nach Ausprägung kann der Ökofeminismus Schwerpunkte anderer Strömungen wie beispielsweise der Tierethik oder des Postkolonialismus aufgreifen und behandeln. Nicht alle Positionen innerhalb des Ökofeminismus sind miteinander vereinbar. Zum Beispiel besteht eine Diskrepanz zwischen essentialistischen und intersektionalen Positionen.

Innerhalb feministischer Theorien bedeutet Essentialismus, dass von einer Essenz des Weiblichen bzw. Männlichen ausgegangen wird. Diese wird den Geschlechtern insbesondere anhand von biologischen Merkmalen in antagonistischer Manier zugeschrieben. Essentialistische Positionen setzen damit die Subjekte Mann und Frau fest und haben erhebliche Schwierigkeiten, Abweichungen und Überlappungen zwischen den Geschlechtern zu erklären.

Es steht außer Zweifel, dass zahlreiche Vertreter*innen des Ökofeminismus wie Brian Swimme, Kay Salleh oder Vandana Shiva essentialistische und/oder generalisierende Charakteristika in ihrem Argumentationsgang aufweisen und ihre Theorien entsprechend der Kritik bedürfen. Der vorliegende Artikel legt jedoch besonderes Augenmerk auf diejenigen Positionen, die den Essentialismus zugunsten einer intersektionalen Perspektive ablehnen. Auf die Definition von Intersektionalität wird genauer im Abschnitt Intersektionalität und Geschlechtergerechtigkeit eingegangen.

Warum wir eine feministische Perspektive auf die Klimakrise brauchen

Luftaufnahme von zerstörten Wohnmobilen in Punta Gorda, Florida, nach dem Hurrikan Charley.

Die Notwendigkeit einer feministischen Perspektive auf die Klimakrise ergibt sich bei Betrachtung von Statistiken zur Gefährdung verschiedener Personengruppen in Hinblick auf Umweltkatastrophen. Frauen und andere marginalisierte Gruppen sind am meisten von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen: So ist die Wahrscheinlichkeit, in einer Umweltkatastrophe zu sterben, für Frauen und Kinder 14 mal höher als für Männer.[1]

Intersektionale Ökofeminist*innen wie Greta Gaard stellen dabei heraus, dass diese Verletzlichkeit nicht angeboren, sondern ein Resultat von Ungleichheit ist, die durch vergeschlechtlichte soziale Normen, Diskriminierung und Armut entsteht.[2] Dieses Phänomen der gendered vulnerability als Konstrukt zu entlarven und aufzulösen fällt in das Aufgabenfeld des intersektionalen Ökofeminismus.

Trotz ihrer Betroffenheit sind Frauen und andere marginalisierte Gruppen unterrepräsentiert auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im Bezug auf den Klimawandel.[3] Ein Beispiel für die partizipatorische Marginalisierung von Frauen und BIPoC (Black, Indigenous and People of Colour) in der Debatte um die Klimakrise findet sich im Fall der Überbevölkerung: Überbevölkerung im globalen Süden wird seit Ende der 1960er Jahre als einer der Gründe für die Klimaerwärmung gesehen und ist dadurch in den Fokus von Umweltschutzbestrebungen des globalen Nordens geraten.[4] Das WorldWatch Institute sprach sich für Bevölkerungsreduktion aus, welche durch verbesserte Bildung, Angebote zur Familienplanung und Förderung der Gleichheit von Frauen und Männern erreicht werden sollte. Dieser Ansatz richtet sich, trotz seiner globalen Relevanz, allerdings an Menschen im globalen Süden, die selbst nicht in den Prozess der Maßnahmenfindung einbezogen wurden, sodass unklar ist, ob dies gewünschte oder für sie umsetzbare Ansätze sind.[5]

Neben dem partizipatorischen Ausschluss findet sich ein weiteres Problem im epistemologischen Umgang mit der Klimakrise: Der Klimawandel wird meist als ein hauptsächlich wissenschaftliches Problem verstanden, welches es mithilfe neuer technologischer Innovationen zu lösen gilt. Eine wissenschaftliche Betrachtung erfolgt allerdings historisch aus der Position eines maskulinen Subjekts, welches kulturell die Norm darstellt. Durch den Bezug auf ein maskulines Subjekt werden nicht-männliche Perspektiven unsichtbar gemacht. Feministische Epistemolog*innen sprechen daher von einer maskulinistischen oder androzentrischen Beschaffenheit der Wissenschaft. Michèle Le Deouff definiert den Begriff des Maskulinistischen als „work which, while claiming to be exhaustive, forgets about women’s existence and concerns itself only with the position of men.“[6] Aufgrund dieses Anspruchs auf Vollständigkeit entsteht ein Ausschluss nicht-männlicher Menschen von der Wissensproduktion.[7] Der Geltungsanspruch des so gewonnenen Wissens bezieht sich auf ein männliches Subjekt, wird allerdings generalisiert und als für alle Menschen gültig befunden und so als Standard des Wissens erachtet.[8] Diese postulierte Universalität der wissenschaftlichen Betrachtung verdeckt allerdings die Voreingenommenheit des Standpunkts und schließt nicht-wissenschaftbasiertes Wissen und Perspektiven aus, die zum Abwenden der Klimakrise beitragen könnten. Nicht-wissenschaftsbasiertes Wissen (manchmal auch als situated knowledge bezeichnet[9]) wird von Menschen durch ihre praktische Lebensweise in einem bestimmten Gebiet generiert. Es wird allerdings üblicherweise nicht als gleichwertiges Wissen anerkannt, da es nicht durch objektive und wertfreie Forschung, d. h. nicht an Standards der Wissenschaftlichkeit orientierten Verfahrensweisen, gewonnen wird.[10] Anna Kaijser und Annica Kronsell sehen situated knowledge allerdings als „highly valuable for addressing climate change issues“[11] an. Das Invalidieren des situated knowledge geschieht zugunsten der Aufrechterhaltung der „objective view“: „a romantic belief in the possibility of connection-free knowledge from an outside-of-nature, perspective-free viewpoint“.[12] Der westlich geprägte Denkstil orientiert sich an dem Ideal einer solchen situationsunabhängigen, absolut neutralen Positionalität, von der aus Wissenschaft betrieben werden kann. Feministische Epistemolog*innen kritisieren dies allerdings, da insbesondere weiße, wohlhabende Männer historisch aufgrund ihres sozialen Status in der Wissensproduktion privilegiert sind. Das Betreiben von Wissenschaft von diesem Standpunkt aus führt auch zu einer Verzerrung vieler Forschungsergebnisse (gender data gap).

Die unter anderem epistemologische Marginalisierung von Frauen und BIPoC resultiert dabei in einer verzerrten Vorstellung davon, wie mit der Klimakrise umgegangen werden soll: Der globale Norden, der für 80% des globalen Treibhausgasaustoßes verantwortlich ist, setzt technologische Innovationen zum Bekämpfen der Klimakrise im globalen Süden durch.[13]), anstelle den Fokus auf das Problem des Überkonsums im globalen Norden zu legen und einen ideologischen Wandel der Mensch-Umwelt-Beziehung bei Konsument*innen voranzutreiben[14] oder die vom globalen Süden selbst entwickelten Strategien ernst zu nehmen. Hier wird deutlich, wie durch Wissen Dominanz ausgeübt werden kann.[15] Das Bestehen auf technologische Lösungsansätze zur Klimakrise wird des Weiteren von vielen Ökofeminist*innen kritisiert, da sich durch den privilegierten eurozentrischen Standpunkt, von dem aus Wissenschaft häufig betrieben wird, mitunter fehlgeleitete politische Strategien ergeben. So basiert beispielsweise die Formulierung des 2-Grad-Ziels als Richtwert für ein vertretbares Maß an Klimaerwärmung auf der Vorstellung, dass sich die Klimaerwärmung an einem bestimmten Punkt stoppen lasse.[16] In ihrer Analyse führt Joni Seager dies zurück auf die maskulinistische Vorstellung von Kontrolle und Dominanz der Umwelt.[17] Der Fokus auf technologische Lösungsansätze ignoriert außerdem das systematische Problem der Ausbeutung und Unterdrückung von Natur[18] und setzt somit nicht an der möglichen Wurzel des Problems an. Statt alternative Konzepte zur Nutzung von Ressourcen zu entwickeln, verharren technologische Ansätze meist in der Dominanzlogik und rechtfertigen den Verbrauch weiterer Ressourcen, teilweise im Namen des Umweltschutzes – beispielsweise den Lithium-Abbau zum Bau von Akkus für Elektro-Autos.

„[C]limate change and first world overconsumption are produced by masculinist ideology, and will not be solved by masculinist techno-science approaches.“[19]

Ein weiterer Aspekt, der die Notwendigkeit einer feministischen Perspektive auf die Klimakrise verdeutlicht, ist, dass aktuelle Ansätze zum Umgang mit der Krise auf andernfalls eingeschränkten Betrachtungen basieren: Der Mangel einer geschlechtersensitiven Betrachtung und Diskussion der Klimakrise ist ein weiterer Grund, weshalb diese überiegend aus rein (natur-)wissenschaftlichen, und somit epistemologisch eingeschränkten Perspektiven repräsentiert und analysiert wird, welche entsprechend technologische und (natur-)wissenschaftliche Lösungsstrategien fordern und fördern. Dieses Primat technischer Lösungsansätze vernachlässigt u. a. Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen als Ursachen der Klimakrise und schließt damit gleichzeitig Daten und Perspektiven aus, die zum Abwenden der Klimakrise beitragen könnten.

Intersektionalität und Geschlechtergerechtigkeit

Als Begründerin intersektionaler Theorie wird oftmals Kimberlé Crenshaw angeführt, welche für ihren Aufsatz Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics bekannt ist.

„,Intersectionality‘ refers to the interaction between gender, race, and other categories of difference in individual lives, social practices, institutional arrangements, and cultural ideologies and the outcomes of these interactions in terms of power.“[20]

Kimberlé Crenshaw.

In Beziehungen auf allen Ebenen finden sich Intersektionen von Macht. Darin bilden soziale Kategorisierungen bzw. in ihrer jeweiligen Kombination die Basis zur Ein- und Ausgrenzung. So wird z. B. Erstrebenswertes, Attraktives, aber eben auch Abweichendes definiert und in individuellen Handlungen und der institutionellen Praxis vorgefunden. Oftmals werden die Kategorisierungen als natürliche Unterschiede dargestellt, denen jedoch implizite Machtmuster zu Grunde liegen, die nicht konkret benannt werden. Im Fall vom Diskriminierung auf Basis von Geschlecht, Klasse, Herkunft, Hautfarbe, Sexualität, ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Behinderungen und weiterer Formen menschlicher Unterschiede handelt es sich um Kategorien, deren Strukturen und Beziehungen untereinander mithilfe von intersektionalalen Analysen hinterfragt werden können.[21]

Anna Kaijser und Annica Kronsell formulieren als Ziel einer intersektionalen Analyse, die Perspektive zu erweitern und darüber nachzudenken, welche Faktoren in einem bestimmten Umfeld relevant sein könnten, ohne dabei das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren.[22] Insofern geht die intersektionale Analyse darüber hinaus, Diskriminierung oder z. B. die hier besprochenen Geschlechterverhältnisse zu kritisieren. Mit ihr lassen sich besonders vulnerable Gruppen identifizieren und Überschneidungen wie die von Geschlecht, Klasse, Herkunft und Hautfarbe einordnen. Entscheidend ist es zu berücksichtigen, wie solche sozialen Kategorien ausgehandelt und konstruiert werden und auf welche Weise sie sich unterscheiden. Denn Wissen ist historisch geschaffen und auch das betroffene Subjekt ist historisch und sozial situiert.

Es gibt jedoch bisher wenige Studien, die in der Debatte um die Klimakrise eine ökologische Queer-Perspektive berücksichtigen, oftmals, weil entsprechende Daten nicht in Studien erfasst werden. Angesichts bereits bestehender Erkenntnisse über die Korrelation und gegenseitigen Verstärkung von Sexismus und Homophobie,[23] erscheint die Ausweitung des Forschungsbereich auf Queerfeindlichkeit erforderlich, um die Dimensionen patriarchaler Gewalt umfassender analysieren zu können. Greta Gaard und Catriona Sandilands beschäftigten sich bereits in ihren Beiträgen Toward a Queer Ecofeminism (1997) und The Importance of Reading Queerly: Jewetts 'Deephaven' as Feminist Ecology (2004) mit einer queeren Lesart des Ökofeminismus.[24] Gaard bringt die grundliegende Überlegung hierzu 2015 auf den Punkt, wenn sie formuliert:

„There will be no climate justice without [queer] gender justice.“[25]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, um ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter[26] und Geschlechterdiversität auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung zu erreichen, im Fall der Klimakrise ein umfangreicher Wandel erforderlich ist. Die Anwesenheit von Frauen und LGBTQIA+[27] in den Entscheidungsebenen ist jedoch keine Garantie für eine geschlechtergerechte Klimapolitik. Um die Machtverhältnisse in der Klimapolitik in Bezug auf Geschlecht sichtbar zu machen, ist es notwendig, dass Menschen die verschiedenen Klimaschutzstrategien in Bezug auf ihre Maskulinität und Geschlechterrollen hinterfragen.

Kritik an Intersektionalität und Ökofeminismus

Intersektionalität

Kritik an Intersektionalität richtet sich oftmals gegen die Identitätskategorien, welche die intersektionale Analyse als Werkzeug nutzt. Die Frage, wie Gruppenidentitäten verstanden werden sollen, ist also auch für Intersektionalität relevant, insofern es darum geht, wie mit ihnen verfahren werden soll.[28] Innerhalb der jeweiligen Bereiche gibt es anhaltende Diskurse z. B. darüber, wie die Identitätskategorie Frau, angesichts des Ziels, die Unterdrückung von Frauen als Gruppe zu beenden, zu verstehen ist.[29] Entscheidend für die Kritik an den Identitätskategorien ist, dass ein übermäßiger Fokus auf diese zur Homogenisierung von Gruppen führen kann. Umgekehrt kann bei starker Gewichtung der Erfahrung von Subjekten die gemeinsame Gruppenzugehörigkeit und so auch die Möglichkeit zum Zusammenschluss im Kampf gegen die Marginalisierung verloren gehen. Denkbar wäre dann, dass es nur eine Erfahrung, wie es ist eine Frau zu sein gäbe, welche für alle Frauen gilt, oder anderenfalls nur einzelne Individuen, da die jeweiligen Erfahrungen von niemandem als der Person selbst nachvollziehbar sind. Zusammengefasst werden Diskurse rund um dieses Thema unter dem Begriff der Identitätspolitik.

Eisbären demonstrieren gegen steigende Armut durch den Klimawandel.

Intersektionalität wird weiterhin als zu offen und ambig kritisiert. Einige Forscher*innen wie Mieke Verloo und Leslie McCall sprechen sich daher für klare, universal anwendbare Definitionen oder strenge methodische Leitlinien in der Forschung aus. So soll Intersektionalität ergänzt und zu einer 'guten' Theorie gemacht werden, denn, so McCall bei aller Kritik, sei Intersektionalität „the most important contribution that women’s studies has made so far“.[30] In Bezug auf die Grundannahme, dass Kategorien soziale Konstrukte sind, wird beispielsweise entgegnet, dass es sich nicht um einen Verweis auf eine bestimmte Identitätspolitik handelt.[31]

Ökofeminismus

In der Anfangszeit des Ökofeminismus wurden Natur und Frauen in Bezug auf ihre Ausbeutung oft gleichgesetzt. Infolgedessen kritisierte Janet Biehl in den 1990er Jahren bereits diese ihr zufolge mystifizierte Verbindung von Frauen und Natur und prägte die Position der sozialen Ökologie.[32] Ein weiterer zu nennender Kritikpunk am Ökofeminismuss ist die weiter oben bereits kritisch betrachtete Annahme eines Essentialismus, den einige Vertreter*innen voraussetzen. Gerade in diesem Zusammenhang gilt es das Risiko der Verknüpfung essentialistischer Positionen mit faschistoidem oder faschistischem Gedankengut im Kontext des Ökofeminismus zu reflektieren.

Peter Staudenmaier nennt in Fascist Ecology exemplarisch für eine solche Verknüpfung die 1989 stattfindende Lernwerkstatt von Rudolf Bahro: In dieser wurden Veranstaltungen zu verschiedenen Themen wie Ökofeminismus, Zen-Buddhismus und ganzheitlicher Ernährung, aber auch zur 'deutschen Wesenheit' angeboten. Diese Verbindung von Ökologie und Faschismus findet sich in neuzeitlichen esoterischen Milieus, hat aber durchaus historische Vorläufer wie die Völkische Bewegung und die Heimatbewegung.[33] In Anbetracht dieser in anderen Bereichen bereits erkannten Verbindung gilt es auch im Ökofeminismus antifaschistische Positionen auszubauen. Das Ökofeminist*innen davon profitieren könnten, sich ein Beispiel an der antifaschistischen Bewegung zu nehmen, betont beispielsweise Asmae Ourkia in Queering Ecofeminism: Towards an Anti-Far-Right Environmentalism.[34] Ourkias Artikel ist Teil einer Serie, welche vom Network in Canadian History & Environment veröffentlicht wird und für gewöhnlich unterrepräsentierte Queer-Perspektiven hervorhebt. Auch im Ökofeminismus ist daher weiter Forschung zur Betroffenheit von LGBTQIA+ und das Einbeziehen von Ergebnissen notwendig.[35]

Was kann der Ökofeminismus vom afrozentrischen Ökowomanismus lernen?

Wie andere afrozentrische Perspektiven auch, kann der afrozentrische Ökowomanismus als ein der eurozentristischen Perspektive entgegengesetzter Standpunkt betrachtet werden. Afrozentrische Ansätze können demnach als Selbstermächtigung in einem europäisch dominierten Diskurs um Deutungshoheit verstanden werden. Der Fokus afrozentrischer Ansätze liegt auf der pan-afrikanischen Kultur, Philosophie und Geschichte. Der Womanismus legt großen Wert auf die Perspektive von BIPoC afrikanischer Herkunft, die im Feminismus oftmals unterrepräsnetiert bleibt. Der afrozentrische Ökowomanismus sollte demnach nicht unter dem Begriff Ökofeminismus subsumiert werden, sondern vielmehr als eine Denkweise verstanden werden, von der der Ökofeminismus lernen kann.

In Shamara Shantu Rileys Artikel Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism beschreibt die Autorin den afrozentrischen Ökowomanismus als klare Position gegen die eurozentrisch maskulinistische Ideologie der Dominanz, aus der sich der Natur-Kultur Dualismus entwickelt hat.[36] Bezugnehmend auf die Anthropologin und Afrikawissenschaftlerin Marimba Ani erachtet Riley den Dualismus als Erbe des Juden- und Christentums:[37]

„Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (Genesis 1,28)

Die Weltsicht im ersten Buch Mose als einer der zentralen Grundlage in diesem Kontext erlaubt dem Menschen nicht nur, seine Herrschaft über die nicht-menschliche Natur auszuüben. Er wird in seinem ‏‎Verhältnis zur Natur vor allem als von dieser abgespalten und in einer Hierarchie dieser übergeordnet stehend, gekennzeichnet.

Die Ökofeministin Ynestra King macht darauf aufmerksam, wie die Kategorie des Natürlichen bzw. der Natur als Projektionsfläche zur Kontrolle von Frauen genutzt wird. Dasselbe Prinzip greift jedoch ebenfalls für BIPoC, deren Nähe zur Natur betont wird, um sie als Andere zu kennzeichnen. Dabei werden ihnen u. a. Attribute der Wildheit, Unberührtheit, Reinheit oder Instinkthaftigkeit attestiert. Die Konstruktion der Anderen legitimiert insbesondere die Herrschaft von weißen Männern über Frauen und BIPoC, die nach dieser Logik der Kontrolle bedürfen und kultiviert werden müssen. Dieser Ideologie folgend ist auch die rassistische Praxis der Kolonisierung und Versklavung zu verstehen.[38]

Afrozentrische Positionen des Ökowomanismus kritisieren am Ökofeminismus die Behandlung der Kategorie Frau als homogene Gruppe. Denn Hierarchien bestehen nicht lediglich zwischen Mann und Frau, sondern auch zwischen Frauen untereinander, beispielsweise aufgrund ihrer Klasse, Herkunft oder Hautfarbe, aber eben zwischen weißen Frauen und BIPoC.[39]

Wird die exorbitante Betroffenheit von BIPoC mitbedacht – wobei unter intersektionalen Gesichtspunkten weibliche BIPoC eine besonders vulnerable Gruppe darstellen –, so geht es hier radikal ausgedrückt um das pure Überleben. In eben diesem radikalen Sinne nimmt die Bürgerrechtsbewegung in den USA der 1960er Jahre für Aktivisti*innen, Philosoph*innen und Schriftsteller*innen wie bell hooks, Esther Iverem und Robert Bullard die in den 80er Jahren einsetzende Umweltbewegung der schwarzen Communities vorweg. Dies ist eine naheliegende Schlussfolgerung, denn für Bürgerrechte zu kämpfen, heißt auch für den Rahmen zu kämpfen, in dem diese wirksam werden können.[40]

Was Vertreter*innen des afrozentrischen Ökofeminismus fordern, bringt Riley treffend auf den Punkt:

„However, what we need is not a total disassociation of people from nature, but rather a reformulation of everyone´s relationship to nature by socially reconstructing gender, class, and ethnic roles.“[41]

Zur Überwindung des Natur-Kultur Dualismus wird eine Rückbesinnung auf bestimmte vorkoloniale, spirituelle Konzepte wie beispielsweise das aus der westafrikanischen Tradition stammende Nyam vorgeschlagen: Wird die Interdependenz zwischen Menschen untereinander und nicht-menschlicher Natur anerkannt, respektiert und wertgeschätzt, so ergibt sich ein grundlegend anderes Verständnis von Machtverhältnissen. Macht wird nicht über, sondern mit anderen Kreationsformen ausgeübt.[42]

Abschließend lässt sich festhalten, dass der afrozentrische Ökowomanismus Problematiken der Klimakrise sowie damit einhergehende sozioökonomische Ungleichheiten aus einer konkreten Position heraus adressiert. Diese Position weist eine spezifische Betroffenheit auf, die nicht subsumiert werden kann und daher für die eigenen Interessen eintreten muss. Offen bleibt hierbei, nach welchen Kriterien über die Bezugnahme oder den Ausschluss verschiedener oder gar entgegengesetzter spiritueller Konzepte entschieden wird und inwiefern die Position des afrozentrischen Ökowomanismus auch für queere Belange zugänglich ist und nicht lediglich die Binarität heterosexueller Normen bejaht.

Belege

  1. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 10. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  2. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 9. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  3. Vgl. Kaijser, Anna; Kronsell, Annica (2014): Climate change through the lens of intersectionality. In: Environmental Politics 23(3), S. 418. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  4. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 14. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  5. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 15. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  6. Gillian, Rose (1993): Feminism and Geography: The Limits of Geographical Knowledge. Cambridge: Polity Press, S. 4.
  7. Vgl. Gillian, Rose (1993): Feminism and Geography: The Limits of Geographical Knowledge. Cambridge: Polity Press, S. 4.
  8. Vgl. Gillian, Rose (1993): Feminism and Geography: The Limits of Geographical Knowledge. Cambridge: Polity Press, S. 7.
  9. Kaijser, Anna; Kronsell, Annica (2014): Climate change through the lens of intersectionality. In: Environmental Politics 23(3), S. 423. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  10. vgl. Bee, Beth A.; Rice, Jennifer; Trauger, Amy (2015): A Feminist Approach to Climate Change Governance: Everyday and Intimate Politics. In: Geograpyh Compass 9(6), S. 4. Online, zuletzt abgerufen am 28.03.2022.
  11. Kaijser, Anna; Kronsell, Annica (2014): Climate change through the lens of intersectionality. In: Environmental Politics 23(3), S. 423. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  12. Allison, Elizabeth (2017): Toward a Feminist Care Ethic for Climate Change. In: Journal of Feminist Studies in Religion 33(2), S. 153. Online, zuletzt abgerufen am 21.03.2022.
  13. So sieht beispielsweise das Kyoto Protokoll u. a. den Einsatz von genetisch veränderten Nutzpflanzen vor. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 12. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  14. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 12f.. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  15. Vgl. Bee, Beth A.; Rice, Jennifer; Trauger, Amy (2015): A Feminist Approach to Climate Change Governance: Everyday and Intimate Politics. In: Geograpyh Compass 9(6), S. 4. Online, zuletzt abgerufen am 28.03.2022.
  16. Vgl. Bee, Beth A.; Rice, Jennifer; Trauger, Amy (2015): A Feminist Approach to Climate Change Governance: Everyday and Intimate Politics. In: Geograpyh Compass 9(6), S. 4. Online, zuletzt abgerufen am 28.03.2022.
  17. vgl. Bee, Beth A.; Rice, Jennifer; Trauger, Amy (2015): A Feminist Approach to Climate Change Governance: Everyday and Intimate Politics. In: Geograpyh Compass 9(6), S. 4. Online, zuletzt abgerufen am 28.03.2022.
  18. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 12. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  19. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 4. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  20. Davis, Kathy (2008): Intersectionality as Buzzword: A Sociology of Science Perspective on What Makes a Feminist Theory Successful. In: Feminist Theory 9(1), S. 68. Online, zuletzt abgerufen am 12.03.2022.
  21. vgl. Kaijser, Anna; Kronsell, Annica (2014): Climate change through the lens of intersectionality. In: Environmental Politics 23(3), S. 419. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  22. Kaijser, Anna; Kronsell, Annica (2014): Climate change through the lens of intersectionality. In: Environmental Politics 23(3), S. 417-433. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  23. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 27. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  24. Siehe Gaard, Greta (1997): Toward a Queer Ecofeminism. In: Hypatia 12(1), S. 114-137. Online, zuletzt abgerufen am 04.10.2022. Sowie Sandilands, Catriona (2004): The Importance of Reading Queerly Jewett’s Deephaven as Feminist Ecology. In: ISLE (Interdisciplinary Studies in Literature and Environment) 11(2), S. 57-77. Online, zuletzt abgerufen am 04.10.2022. Mehr zu diesem Thema unter: Ourkiya, Asmae (2020): Queering Ecofeminism: Towards an Anti-Far-Right Environmentalism. In: NiCHE Canada. Online, zuletzt abgerufen am 18.03.2022.
  25. Gaard erweiterte den Sloagen „There will be no climate justice without gender justice“ des Gender & Climate Change Networks (genderCC) um eine queere Perspektive. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 27. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  26. Vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 26. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  27. Gaard betont in ihren Veröffentlichungen anhaltend queer-pespectives und queer sexualities. Um dies einzufangen, wird hier zusätzlich auch von LGBTQIA+ gesprochen, obwohl sie im Originaltext diese nicht explizit nennt. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 26. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  28. Vgl. Heyes, Cressida (2020): Identity Politics. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy. Online, zuletzt abgerufen am 07.01.2022.
  29. vgl. Mikkola, Mari (2022): Feminist Perspectives on Sex and Gender. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy. Online, zuletzt abgerufen am 07.01.2022.
  30. McCall, Leslie (2005): The Complexity of Intersectionality. In: Signs 30(3), S. 1771-1800, hier S. 1771. Mehr zur kritischen Auseinandersetzung mit Intersktionalität, siehe Davis, Kathy (2008): Intersectionality as Buzzword: A Sociology of Science Perspective on What Makes a Feminist Theory Successful. In: Feminist Theory 9(1), S. 78. Online, zuletzt abgerufen am 12.03.2022.
  31. Vgl. Heyes, Cressida (2020): Identity Politics. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy. Online, zuletzt abgerufen am 07.01.2022.
  32. Mehr zu diesem Thema unter: Biehl, Janet (1998): The Politics of Social Ecology. Online, zuletzt abgerufen am 07.01.2022.
  33. Vgl. Staudenmaier, Peter (1996): Fascist Ecology: The „Green Wing“ of the Nazi Party and its Historical Antecedents. In: Biehl, Janet; Staudenmaier, Peter (Hrsg.): Ecofascism: Lessons from the German Experience, Edinburgh, San Francisco: AK Press, S. 13-43, hier S. 34ff. Online, zuletzt abgerufen am 15.03.2022.
  34. Mehr zu diesem Thema unter: Ourkia, Asmae (2020): Queering Ecofeminism: Towards an Anti-Far-Right Environmentalism. In: Network in Canadian History & Environment. Online, zuletzt abgerufen am 23.03.2022.
  35. vgl. Gaard, Greta (2015): Ecofeminism and climate change. In: Women's Studies International Forum 49(1), S. 27. Online, zuletzt abgerufen am 06.01.2022.
  36. Shamara Shantu Riley benutzt in ihrem 1993 erschienenen Artikel die Worte „Black“ und „People of Color“. Die konzeptuelle Verwendung des Begriffs „BIPoC“ setzte erst rund 30 Jahre später im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung ein. Im hier vorliegenden Artikelabschnitt wird die Begriffsverwendung von BIPoC aufgrund der Auswirkungen des Kolonialismus auf Indigene als sinnvolle Ergänzung erachtet und trotz der Abweichung vom Originaltext verwendet.
  37. Vgl. Riley, Shamara Shantu (1996): Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism. In: Roger S. Gottlieb (Hrsg.): This sacred earth: religion,nature, environment, New York: Routledge, S. 349.
  38. Vgl. Rileys, Shamara Shantu (1996): Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism. In: Roger S. Gottlieb (Hrsg.): This sacred earth: religion,nature, environment, New York: Routledge, S. 348ff..
  39. Vgl. Rileys, Shamara Shantu (1996): Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism. In: Roger S. Gottlieb (Hrsg.): This sacred earth: religion,nature, environment, New York: Routledge, S. 352.
  40. vgl. Rileys, Shamara Shantu (1996): Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism. In: Roger S. Gottlieb (Hrsg.): This sacred earth: religion,nature, environment, New York: Routledge, S. 352f..
  41. vgl. Rileys, Shamara Shantu (1996): Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism. In: Roger S. Gottlieb (Hrsg.): This sacred earth: religion,nature, environment, New York: Routledge, S. 348.
  42. Vgl. Rileys, Shamara Shantu (1996): Ecology Is A Sistah´s Issue Too: The Politics Of Emergent Afrocentric Ecowomanism. In: Roger S. Gottlieb (Hrsg.): This sacred earth: religion,nature, environment, New York: Routledge, S. 357f..



Autor*innen

Erstfassung: Nele Fuchs, Johanna Schreiner und Herr v. Rehtanz am 09.09.2021. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Fuchs, Nele et al. (2021): Intersektionalität im Ökofeminismus. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Intersektionalität im Ökofeminismus, zuletzt abgerufen am 29.03.2024.