Kunstkommunikation

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Dieser Artikel dient als Übersicht einer Reihe, in der Kunstkommunikation aus sprachwissenschaftlicher Perspektive diskutiert wird.

Watercolor-Beuys.png Unter dem Begriff „Kunstkommunikation“ wird in der sprachwissenschaftlichen Forschung jegliche Kommunikation in der gesellschaftlichen Wissensdomäne Kunst gefasst und untersucht. Darunter fallen konkret zum Beispiel face-to-face-Gespräche vor Kunstobjekten oder Äußerungen von Künstler*innen sowie schriftsprachliche Texte wie feuilletonistische Kritiken oder Kunstkataloge. Eine der zentralen Forscher*innenpersönlichkeiten in diesem Feld ist der Heiko Hausendorf. Wichtige methodische Zugänge sind im engeren Sinne die Gesprächs- und Interaktionsanalyse, im weiteren Sinne jegliche Mittel der Text- und Diskursanalyse.


Im Living Handbook ist Kunstkommunikation insofern relevant, als dass durch umweltaktivistische Kunst Debatten über nachhaltiges Verhalten angestoßen werden können.

Präzisierung des Begriffs Kunstkommunikation

Die sprachwissenschaftliche Erforschung der Kommunikation im Umfeld von Kunst ist ein noch recht junges Gebiet, dessen intensive Erforschung erst Anfang der 2000er Jahre Fahrt aufnimmt. So können noch 2016 Heiko Hausendorf und Marcus Müller festhalten:

„Zwar ist das Verhältnis von Sprache und (Bildender) Kunst immer wieder grundsätzlich thematisiert worden. Über den gesellschaftlichen Funktionsbereich der Kunst und seine sprachlichen Anteile wissen wir aber nach wie vor viel weniger als über die anderen Funktionsbereiche der Gesellschaft.“[1]

Die Kommunikation über Kunst als gesellschaftlichem Funktionsbereich (neben anderen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Recht etc.) steht im Fokus der sprachwissenschaftlichen Forschung. Eine zentrale Annahme ist dabei, dass „Kommunikation mit und durch Kunstwerke [...] ohne einen sprachlich konstituierten Kunstdiskurs nicht denkbar [ist], wie (fast) jede Gegenwartsausstellung von Kunst mit ihren vielen und vielfältigen sprachlichen Bezugnahmen am Kunstwerk (in der Nähe des Kunstwerks) belegt.“[2]

Relevanz von Kunstkommunikation für das Thema Klimawandel

Insbesondere Großausstellungen wie die Biennale in Venedig oder die documenta in Kassel sind im Wesentlichen nicht nur Ausstellungsorte für Kunstobjekte, sondern erheben in ihrer Gesamtkomposition den Anspruch, eine Bestandsaufnahme global und gegenwärtig relevanter Themen zu sein, die sich in Form von Kunstobjekten manifestiert und über andere Zeichenträger (Kataloge, Führungen, Kritiken etc.) diskursiv ausgehandelt und in die Gesellschaft hineingetragen wird. Dass vor diesem Hintergrund zunehmend auch ein Thema wie der Klimawandel relevant wird, ist naheliegend und einer der zentralen Gründe, sich im vorliegenden Living Handbook mit Kunstkommunikation auseinanderzusetzen. Einige Beispiele für Kunstpositionen, die sich mit Umweltthemen oder auch spezieller dem Klimawandel auseinandersetzen, sind der österreichische Künstler Lois Weinberger, einige Arbeiten von Joseph Beuys, insbesondere Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung (7000 Eichen)) oder der Doing Nothing Garden des chinesischen Konzeptkünstlers Song Dong.

Warum ist das Kunst? – Kunstwertstiftung als Funktion der Kunstkommunikation

Besucher*innen bei der Banksy versus Bristol Museum-Ausstellung, 2009.

Neben den zentralen Funktionen der Kunstkommunikation,[3] ist insbesondere die Unterfunktion der Kunstwertstiftung relevant, wenn es darum geht, dass Kunstobjekte in der Öffentlichkeit wahrgenommen und die von ihnen transportierten Inhalte (beispielsweise Klimapolitik) auch außerhalb eines Kreises von Fachleuten und Eingeweihten diskutiert werden.

Als Versuch der Kunstwertstiftung wird jegliche kommunikative Handlung verstanden, die Rezipierenden vermitteln soll, dass es sich bei einem Objekt um Kunst handelt. Der Begriff der Kunstwertstiftung ist sehr dicht und damit nicht unbedingt intuitiv erschließbar, insofern ließe sich seine wortwörtliche Bedeutung so herleiten: Der (Mehr-)Wert eines Objekts als Kunst wird erklärt und damit kommunikativ gestiftet – so wie man beispielsweise auch Sinn stiftet etc. Die Sprachwissenschaftlerin Rahel Ziethen fasst zusammen, dass bevor Kunstkommunikation beginnen könne, „das Gezeigte als ‚Kunst’ überhaupt erst einmal glaubhaft gemacht werden muss“.[4] Sie betont, dass dies insbesondere bei zeitgenössischer Kunst erforderlich sei.

Vier Strategien der Kunstwertstiftung

Kommunikative Strategien der Kunstwertstiftung sind von gesellschaftlicher Bedeutung, da die Kunstobjekte einer Kunstgroßausstellung sowie die darin transportierten Inhalte üblicherweise in der Absicht produziert und kommunikativ eingerahmt werden, einem möglichst breiten Publikum zugänglich gemacht zu werden. Darunter fallen auch die Handlungsappelle, die umweltaktivistische Kunst im Rahmen einer Großausstellung an ihr Publikum herantragen will. Kurz gefasst: Kunstwertstiftung ist notwendig, denn wenn ein Kunstobjekt nicht als solches wahrgenommen wird, wird auch die damit zu vermittelnde Botschaft nicht wahrgenommen; ein Zeichenträger, der nicht als solcher verstanden wird, wird auch nicht gelesen.

Es lassen sich vier kommunikative Strategien der Kunstwertstiftung unterscheiden, die insbesondere dann eingesetzt werden, wenn Kunstlai*innen vermittelt werden soll, dass es sich bei einem Objekt um Kunst handelt. Diese Strategien wurden anhand von Katalogtexten der documenta-Ausstellungen 12, 13 und 14 herausgearbeitet:[5]

I. materiell-handwerkliche Ebene

  • Beschreibung von Details und ihrem Bezug zum Ganzen
  • Beschreibung von Techniken und Arbeitsprozessen (z. B. Material sammeln und anordnen)
  • Nutzung von Material/technikbezogenen Fachtermini
  • Nennen und Zitieren anderer Autoritäten/Fachleute (für [Kunst-]Techniken)


II. ästhetisch-psychologische Ebene

  • übliche Wirkung auf die Rezipierenden beschreiben (z. B. „zunächst abschreckend“)
  • Beschreibung von Emotionen und Urteilen anderer (Fachleute oder Laien)
  • Innovation der Arbeit durch innovative Sprache signalisieren
  • Arbeit als Widerspiegelung eines Zeitgeistes deuten
  • ästhetische Entsprechung von Beschreibung und Beschriebenem, Nutzung poetischer Sprache
  • prozessuale Verben als Signal für Dynamik (z. B. „abarbeiten“)
  • Appellstruktur, Text als Einladung zur quasi-gemeinsamen Betrachtung


III. (kunst)historische Ebene

  • Einbettung in ein Genre
  • Tradition, aber auch Bruch mit der Tradition
  • kuratorische und inszenatorische Einbettung mit Kunstobjekt verknüpfen
  • Intertextualität und Intermedialität (im weiten Sinne) aufzeigen
  • Gegenwartsbezug herstellen
  • Einbettung in die Mediengeschichte
  • Abgrenzung von anderer Kunst


IV. (werk)biographische Ebene

  • Markierung des Status der Kunstschaffenden als Autoritäten oder als Innovatoren
  • Verbindung zu anderen Arbeiten der Kunstschaffenden
  • Idee/Konzept hinter den Arbeiten nacherzählen
  • Anekdoten aus dem Leben der Kunstschaffenden
  • Zitate der Kunstschaffenden
  • sozialpolitische Herkunft der Kunstschaffenden als Produktionsantrieb/-hintergrund deuten
  • Beschreibung des Habitus der Kunstschaffenden/ihres Verhaltens, Schlussfolgerung auf Arbeiten[6]


Aus diesen vier Ebenen werden in den untersuchten Katalogtexten jeweils mindestens drei genutzt. Erst durch das Zusammenspiel mindestens dreier dieser Ebenen wird Rezipierenden plausibel gemacht, dass ein Objekt als Kunst gelten kann.[7]

Das folgende Zitat führt das Zusammenspiel der materiell-handwerklichen sowie der ästhetisch-psychologischen Ebene vor Augen:

„Es wird beispielsweise betont, dass [bestimmte Künstler*innen] schon lange oder mit besonderer Charakteristik mit bestimmten Medien, Materialien oder Techniken arbeiten, so wie hier in einem Text des documenta-14-Kurators Pierre Bal-Blanc, in dem er den albanischen Maler Edi Hila direkt anspricht: ‚Ich frage mich, ob das Gefühl der Entkörperlichung, das Ihre Arbeiten hervorrufen, auch darauf zurückzuführen ist, dass Sie nahezu zwei Jahrzehnte an der Akademie der Künste in Tirana Malerei gelehrt haben.’ (Latimer/Szymczyk 2017, „1. Juli“) […] Das letzte Zitat Bal-Blancs zeigt auch eine übliche Vernetzung zweier Muster zur Kunstwertstiftung auf. Durch instrumentale, finale oder konsekutive Junktoren (so, indem, damit, um...zu etc., im Beispiel syntagmatisch komplexer: „darauf zurückzuführen, dass“) werden Ebene I und II so verknüpft, dass sich aus der Gestaltung des Kunstobjekts eine bestimmte Wirkung ableiten lässt.“[8]

Das Herausarbeiten solcher kommunikativer Muster der Kunstwertstiftung ist ein wichtiger erster Schritt bei der Analyse von Kunst, die in der Gesellschaft Veränderungen bewirken möchte. Erst die Akzeptanz des Kunstwerks als Kunstwerk durch sein Publikum erlaubt es auch, dass dieses Publikum sich auf die zu vermittelnde Botschaft einer solchen Arbeit einlässt. Das im Zitat besprochene Gemälde wird beispielsweise durch die Ausweisung des Künstlers Hila als langjährigen akademischen Kunstlehrer aufgewertet. Vereinfacht ließe sich die hinter dieser Äußerung steckende Argumentation so zusammenfassen: Weil Edi Hila seit zwanzig Jahren Malerei lehrt – und somit logischerweise noch länger selbst malt –, verfügt er über besondere Kompetenzen in Hinblick auf diese Kunstform. Wer solche Muster der Kunstwertstiftung in Bezug auf ein künstlerisches Objekt wiederholt in feuilletonistischen oder Katalogtexten etc. wahrnimmt, dem wird zunehmend plausibel gemacht, dass es sich lohnt, sich mit einem Kunstobjekt auseinanderzusetzen – und damit eventuell auch an den thematisierten Diskursen, z. B. über den Klimawandel, teilzunehmen.

Belege

  1. Hausendorf, Heiko; Müller, Marcus (2016): Sprache in der Kunstkommunikation – Einleitung. In: Hausendorf, Heiko; Müller, Marcus (Hrsg.): Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation, Berlin/Boston: De Gruyter, S. IX.
  2. Hausendorf, Heiko; Müller, Marcus (2016): Sprache in der Kunstkommunikation. In: Hausendorf, Heiko; Müller, Marcus (Hrsg.): Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation, Berlin, Boston: De Gruyter, S. 437.
  3. Hausendorf, Heiko (2011): Kunstkommunikation. In: Habscheid, Stephan (Hrsg.): Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen. Linguistische Typologien der Kommunikation, Berlin, New York: De Gruyter, S. 509-535.
  4. Ziethen, Rahel (2016): Textsorte Ausstellungskatalog. In: Hausendorf, Heiko; Müller, Marcus (Hrsg.): Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation, Berlin, Boston: De Gruyter, S. 412.
  5. Reszke, Paul (2020): Empathie in der Wissensdomäne Kunst. Das Beispiel documenta 14. In: Jacob, Katharina; Konerding, Klaus-Peter; Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sprache und Empathie. Linguistische und interdisziplinäre Zugänge, Berlin, München, Boston: De Gruyter, S. 581-618.
  6. Reszke, Paul (2020): Empathie in der Wissensdomäne Kunst. Das Beispiel documenta 14. In: Jacob, Katharina; Konerding, Klaus-Peter; Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sprache und Empathie. Linguistische und interdisziplinäre Zugänge, Berlin, München, Boston: De Gruyter, S. 611.
  7. Reszke, Paul (2020): Empathie in der Wissensdomäne Kunst. Das Beispiel documenta 14. In: Jacob, Katharina; Konerding, Klaus-Peter; Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sprache und Empathie. Linguistische und interdisziplinäre Zugänge, Berlin, München, Boston: De Gruyter, S. 613.
  8. Reszke, Paul (2020): Empathie in der Wissensdomäne Kunst. Das Beispiel documenta 14. In: Jacob, Katharina; Konerding, Klaus-Peter; Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sprache und Empathie. Linguistische und interdisziplinäre Zugänge, Berlin, München, Boston: De Gruyter, S. 611-612.



Autor*innen

Erstfassung: Paul Reszke am 20.03.2021. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Reszke, Paul (2021): Kunstkommunikation. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Kunstkommunikation, zuletzt abgerufen am 29.03.2024.